Geschichte des Fuhrmanns Hofs
Ein Haus mit langer Tradition
Mitten im historischen Stadtkern von Querfurt steht ein Gebäude, das mehr als dreihundertfünfzig Jahre Geschichte in sich trägt. 1670 als Wohn- und Geschäftshaus mit angeschlossenen Wirtschaftsflächen errichtet, wurde es 1772 erweitert und blieb lange Zeit ein klassisches „Ackergrundstück“ – ein Ort, an dem Handel, Landwirtschaft und Wohnen zusammenkamen. Bis 1912 führte der Kaufmann Schrader hier ein Kolonialwarengeschäft, ausgestattet mit einem besonderen Privileg: dem alleinigen Recht, Salz und Petroleum im gesamten Kreis Querfurt zu vertreiben.
Der Beginn der Fuhrmann-Geschichte (ab 1913)
1913 begann ein neues Kapitel. Der Forstwirt Hugo Fuhrmann sen., ursprünglich in Wernigerode in der Likörproduktion tätig, erwarb das Anwesen nach jahrelanger Suche. Aus dem ehemaligen Kolonialwarenhandel formte er eine Likör- und Fruchtweinfabrik mit angeschlossener Wein- und Spirituosenhandlung. Während die Familie vorübergehend im Gasthof „Zum Stein“ wohnte, wurde das historische Gebäude nach seinen Vorstellungen umgebaut: Geschäftsräume, Lagerräume, Keller und das frühere Stallgebäude passte er Schritt für Schritt an die neue Produktion an. Schon kurz darauf prägten zwei Eigenkreationen das Sortiment: der „Dicke Heinrich“, ein Kräuterlikör mit Zutaten aus dem Ziegelrodaer Forst, und der „Querfurter Klosterlikör“.
Aufschwung und Vielfalt zwischen den Weltkriegen
Nach dem Ersten Weltkrieg wuchs das Unternehmen stetig, die Produktpalette umfasste bald fast einhundert verschiedene Weine, Liköre und Fruchtweine. In den 1930er Jahren arbeiteten hier zehn bis zwölf Menschen – ein beachtlicher Betrieb für eine Kleinstadt. 1937 übernahm Hugo Fuhrmann jun. die Firma und führte moderne Verkaufs- und Werbemethoden ein, während er Kontakte zu Winzern am Rhein ausbaute.
Irmgard Fuhrmann: Herzstück des Unternehmens
Eine entscheidende Rolle spielte jedoch Irmgard Fuhrmann, geborene Arnhardt. Sie begann 1937 als „Haustochter“, wechselte in die kaufmännische Lehre, gewann Wettbewerbe mit gestalteten Schaufenstern – und wurde 1940 Hugo Fuhrmanns Ehefrau. Während des Krieges führte sie mit hohem Organisationstalent gemeinsam mit ihrem Schwiegervater den gesamten Handelsbetrieb, während Hugo jun. eingezogen war. Nach seiner Rückkehr knüpften die Fuhrmanns an das Vorkriegsniveau an und erweiterten Sortiment und Kundschaft.
Handel und Beharrlichkeit in der DDR
Mit der wirtschaftlichen Neuordnung der DDR änderten sich die Rahmenbedingungen grundlegend. Während viele Betriebe verstaatlicht wurden, gelang es der Familie Fuhrmann über Jahre, als privates Unternehmen zu bestehen. Ab Ende der 1950er Jahre verstärkten sich jedoch die politischen und wirtschaftlichen Zwänge, und Irmgard Fuhrmann übernahm die Verhandlungen mit der staatlichen Handelsorganisation. 1963 schloss sie einen Kommissionshandelsvertrag – zu Bedingungen, die sie hartnäckig nachverhandelte und die teilweise bis 1989 Bestand hatten. Die Produktion wurde eingestellt, doch die Wein- und Spirituosenhandlung blieb ein lokaler Fixpunkt, geprägt durch eine beeindruckende Lagerhaltung und treue Kundschaft.
Wendezeit und ein neuer Abschnitt
Bis in die frühen 1990er Jahre blieb Irmgard Fuhrmann Herz und Gesicht des Unternehmens. Nach der Wende entschied sie, im hohen Alter keine Kredite mehr aufzunehmen und das Geschäft zu schließen. Sie verpachtete die Räume an die Stadt Querfurt, die 1992 die Stadtinformation darin eröffnete und große Teile der historischen Ladeneinrichtung erhielt. Auch der „Dicke Heinrich“ kehrte zurück: Mit ihren Unterlagen konnte das Rezept 1994 neu aufgelegt werden.
Ein Kulturdenkmal, das weiterlebt
Irmgard Fuhrmann engagierte sich anschließend für den Erhalt des historischen Hofs. Sie öffnete die Räume für Veranstaltungen des Altertums- und Verkehrsvereins, pflegte das denkmalgeschützte Ensemble und bewahrte seine Geschichte – und damit auch die der Firma, die fast acht Jahrzehnte lang das Wirtschaftsleben Querfurts mitprägte.
Nach der Schließung des Ladens nutzte die Stadt Querfurt die Räume zunächst für die Stadtinformation, bevor diese später an einen anderen Standort verlegt wurde. Dadurch wurden neue Nutzungen möglich – darunter 2018 ein Pop-up-Store, der die historischen Geschäftsräume für einige Monate neu belebte und die besondere Atmosphäre des Hauses erneut sichtbar machte.
Viele Querfurter erinnern sich noch an die frühere Weinhandlung „Hugo Fuhrmann“, das Probierstübchen und die Schlangen vor dem Laden beim Verkauf des „Rosenthaler Kadarka“.
Quellen
- Becker, Peter Karl / Liebold, Sebastian: Kleiner Markt im großen Plan. Drei Unternehmerinnen in der DDR. Sax-Verlag (2015), ISBN 978-3-86729-145-3 – Online-Leseprobe
- mon-mag.de – Unternehmerinnen in der DDR (Female Heritage)
- Mitteldeutsche Zeitung – Des Rätsels Lösung (30.12.2014)
- Mitteldeutsche Zeitung – Stadtinformation vom Heinrich bis zum Esel (27.11.2013)
- Mitteldeutsche Zeitung – Firmengeschichte wissenschaftlich aufgearbeitet (25.10.2013)